Visuelle Darstellungen von Geflüchteten in den deutschen Medien 2010-2020
von Cassidy Chreene Whittle, M.S. Globale Medien und Kulturen – Deutsch
unter Beratung von: Dr. Britta Kallin, assoziierte Professorin für Deutsch, und
Dr. Richard Utz, Fachbereichsleiter und Professor, Literatur, Medien und Kommunikation
Spiegel Titelsplit
Der Spiegel / 25. Juli 2015 / Johannes Arlt für Der Spiegel
Das Jahr 2015 markierte den Beginn der europäischen Flüchtlingskrise. Allein in Deutschland gingen laut dem Pew-Forschungszentrum "beispiellose 442.000 einzelne erstmalige Asylanträge" ein ("Rekord von 1,3 Millionen gesuchten Asylsuchenden in Europa im Jahr 2015"). Für ihre Veröffentlichung in der Woche vom 25. Juli 2015 gestaltete Der Spiegel ein Titelsplit mit sechs Porträts von Geflüchteten in Deutschland mit begleitenden Wortspielen zu stereotypen Vorannahmen gegen Geflüchtete und Gegenargumente, die die Wahrheit hinter den Geflüchteten aufzeigen.
Von links nach rechts lesen sich die Haupttitelzeilen wie folgt: (obere Reihe) "Bedrohlich? Bedroht" / "Gefährlich? Gefoltert" / "Ungebildet? Unterdrückt" (untere Reihe) "Kriminell? Verfolgt" / "Gierig? Arm" / "Gierig? Hungrig." Jedes der Porträts folgt der gleichen fotografischen Grundstruktur: ein volles Gesicht, eine Frontalaufnahme des Porträtierten vor einem schlichten weißen, strukturierten Hintergrund, den wir als Wand annehmen könnten. Fünf der sechs Porträtierten haben einen emotionslosen Ausdruck, wobei die Frau in der rechten oberen Ecke der Zusammenstellung den Trend mit einem leichten Lächeln bricht. Zu diesem Zeitpunkt der Flüchtlingskrise handelte es sich bei den meisten Fotos, die von Nachrichtenorganisationen veröffentlicht wurden, um große Gruppenaufnahmen, auf denen Flüchtlinge auf Booten, in Lagern oder in Aufnahmeeinrichtungen zu sehen waren. Indem sie den Fokus von Fotos von Menschengruppen, vor allem jungen Männern, die wie Herden scheinbar in den Kontinent eindringen, auf die tatsächlichen Individuen und ihre wahren Motive für die Notwendigkeit, in ein sichereres Land als ihre eigene Heimat zu migrieren, verlagern, vermenschlichen die Redakteure des Spiegel die gesichtslosen Massen von Geflüchteten, die nach Deutschland strömen.
Darüber hinaus zeigt die Entscheidung, sich nicht nur auf ein "Aushängeschild" zu beschränken, die Vielfalt unter den Geflüchteten auf und bricht in den Ausgaben einer einzigen Woche mehrere Stereotypen auf. Die Entwicklung dieses Projekts zu einer Serie, die sich über mehrere Wochen erstreckt, hätte seinen Einfluss auf die Notlage der Geflüchteten verstärkt und sich weiter um die Aufklärung der deutschen Öffentlichkeit bemüht, aber das ist wahrscheinlich eine unangemessene Forderung an ein Magazin, dessen Schwerpunkt hauptsächlich auf Nachrichten über Politik, Wirtschaft und Kultur und nicht speziell auf Einwanderungsthemen liegt. Vielleicht hätten die Diakonie Deutschland, eine evangelische Sozialarbeiterin oder Pro-Asyl, eine Nichtregierungsorganisation, die sich für den Schutz und die Rechte von Asylbewerbern in Deutschland und Europa einsetzt, über ihre jeweiligen Publikationen oder Social-Media-Kanäle eine längerfristige Serie von Porträts und Einzelgeschichten etablieren können.