Visuelle Darstellungen von Geflüchteten in den deutschen Medien 2010-2020
von Cassidy Chreene Whittle, M.S. Globale Medien und Kulturen – Deutsch
unter Beratung von: Dr. Britta Kallin, assoziierte Professorin für Deutsch, und
Dr. Richard Utz, Fachbereichsleiter und Professor, Literatur, Medien und Kommunikation
Besetzer in der nigerianischen Botschaft
taz.de / 15. Oktober 2012 / Foto von dpa
Dieses Foto wurde mit dem taz.de-Artikel "Flüchtlinge besetzen Botschaft" vom 15. Oktober 2012 veröffentlicht. Die Bildunterschrift lautet "Besetzer in der nigerianischen Botschaft" und wird der dpa zugeschrieben. Auf dem Bild ist eine Gruppe dunkelhäutiger, vermutlich nigerianischer Männer zu sehen, die aus einem Fenster der nigerianischen Botschaft in Berlin, Deutschland, schreien. In der ersten Reihe hat ein Mann ein Megaphon und ein anderer eine Pfeife, und alle Männer im Bild sind mit erhobenen Händen dargestellt.
Ohne den Kontext eines begleitenden Artikels oder einer Bildunterschrift könnte dieses Foto abseits des Artikels oder der Überschrift leicht mit einem Protest verwechselt werden, an dem schwarze Demonstranten beteiligt sind. Die Nahaufnahme, die nur den Rahmen eines Fensters einfängt, verschleiert jeden Sinn für einen erkennbaren Ort, und die Menge der Protestierenden im Fenster lässt keine sichtbaren Zeichen oder T-Shirts erkennen, die sie zur Unterstützung ihres Protestes tragen könnten.
Der Artikel beschreibt die Besetzung der Botschaft und enthält ein Zitat von einem der Geflüchteten, Charles Enoruwa, obwohl nicht angegeben wird, ob Enoruwa einer der abgebildeten Männer ist. Bis Enoruwa zitiert wird, wird der Zweck der Besetzung weder im Artikel noch in der Überschrift genannt, sondern der Schwerpunkt liegt auf der randalierenden Gruppe von 10 Geflüchteten, die die nigerianische Botschaft besetzten. Durch Enoruwa erfährt der Leser, dass die Besetzung als Protest gegen sogenannte Botschaftsanhörungen gedacht war, eine gängige Praxis, um die Nationalität von Geflüchteten zu bestimmen, deren Nationalität nicht anderweitig eindeutig bestimmt werden kann. In dem Artikel heißt es: "In der Regel sind es Delegationen aus dem jeweiligen Land, die dann die Dialekte der Flüchtlinge analysieren und ihnen gegebenenfalls ein Ausreisevisum in ihr eigenes Land erteilen. Deutschland unterstützt diese Praxis".
Obwohl die Journalisten der taz einer journalistischen Ethik folgten, um sowohl von den Besatzern als auch von den Botschaftsbesuchern Zitate einzuholen und zu veröffentlichen, untergruben sie die Vorgehensweise der Geflüchtete durch die Aussage eines Botschaftsgastes, der als Frau mit Kinderwagen beschrieben wird und die Kluft zwischen den Besuchern und den Protestierenden weiter vertieft, indem er sagt: "Ich verstehe [ihr Motiv], aber dann müssen sie bei der deutschen Regierung protestieren". Darüber hinaus könnte die zweideutige Überschrift "Flüchtlinge besetzen Botschaft" in Verbindung mit dem haarscharf geschossenen Foto dazu führen, dass einige Leser, die lediglich die Schlagzeilen und Fotos überfliegen und betrachten, die Situation als etwas viel Abscheulicheres missverstehen als eine kleine Gruppe von Männern, die friedlich ihre Botschaft besetzen, um gegen eine Praxis zu protestieren, die sie für ungerecht halten.